Wer den gelungenen Erweiterungsbau der Kindertagesstätte St. Ludwig betrachtet, der kann sich kaum mehr vorstellen, dass Kindergärten einst nicht viel mehr waren als reine Kleinkinderbewahranstalten. Für die ersten, der Kinderbetreuung dienenden Einrichtungen existierten noch keine architektonischen Konzepte. In England, wo die organisierte Betreuung von Kindern berufstätiger Eltern Anfang des 19. Jahrhunderts begann, wurden die Kinder zunächst in regelrechten Schulzimmern untergebracht. Die Volkskindergärten waren Einrichtungen mit Gruppengrößen von achtzig bis hundert Kindern. Die Räume strahlten in der Regel eine kühle Anstaltsatmosphäre aus und waren mit Schulbänken und Lehrerpodesten eingerichtet.
In Deutschland vertrat zu dieser Zeit Johann Heinrich Pestalozzi (1746 – 1827) die Theorie der erzieherischen Kraft der Wohnstube. Die Wohnstube sei der Ort, an dem die Kinder vom ersten Lebensaugenblick an erzogen würden. Pestalozzis Schüler und wohl der berühmteste deutsche Kleinkindpädagoge Friedrich Fröbel (1782 – 1852) erweiterte diese Vorstellung und formulierte die These, dass sich Kinder – wie Blumen in einem Garten – frei im Spiel entwickeln
müssen. Fröbel gründete 1840 den ersten Kindergarten. Aufbauend auf den Maximen Pestalozzis und Fröbels besteht auch heute noch die Überzeugung, dass Kinder sich in überschaubaren Räumen, die in wohnungsähnlicher Form als Gruppeneinheit zusammengefasst sind, wohler fühlen und besser entwickeln, als in zu großen und hohen Räumen. Trotzdem brauchen die Kinder selbstverständlich auch Platz für Spiel und Lernen.
Die Architekten Dr. Jan Krieger und Rainer Mielke haben diese sich scheinbar widersprechenden Anforderungen hervorragend planerisch umgesetzt. Der Erweiterungsbau schafft eine Integration und Verschmelzung von Verkehrs- und Gruppenräumen, die den Kindern sowohl Geborgenheit als auch Weite vermittelt. Durch die organisch geformten Trennwände scheint der Flur in die Räume zu fließen. Die sich ausweitende und verjüngende Form seiner Fläche verschmilzt mit den Gruppenräumen zu einer räumlichen Einheit und zeichnet zugleich die Bewegung der Kinder auf geschickte Weise nach.
Kinder müssen sich frei wie Blumen entwickeln
Nach Vorstellung der Architekten sollte sich der Erweiterungsbau durch seine Konstruktion und das verwendete Material vom Bestand lösen und als eigenständiges Element wahrgenommen werden. Sie wählten daher eine leichte Holzbaukonstruktion, die auf eigenen Fundamenten über dem vorhandenen Anbau schwebt. Der Baukörper selbst soll die Assoziation an ein Schiff, als neu gestrandetes Element erwecken. Die Rundfenster, die schräg gestellte Giebelwand und der außen angesetzte zweite Rettungsweg, der als Reling erscheint, verdeutlichen diesen Entwurfsansatz. Gleichzeitig wird durch diesen Fluchtweg eine ebenso geschickte wie harmonische Verbindung von Innen- und Außenraum geschaffen. Aufgabe der Kinder und Erzieherinnen ist es nun, diesen Bau mit Leben zu füllen. Das wird niemandem schwer fallen.